“Ist der Kauf von Rüstungsaktien moralisch vertretbar?” Wir haben 5 Finanzexperten mit eben dieser Frage konfrontiert – und aufschlussreiche Antworten erhalten.
Kaum ein Thema ist so umstritten unter Börsianern, wie der Kauf von Rüstungsaktien. Besonders in Zeiten militärischer Gewalt schießen die Kurse der Waffenhersteller in schwindelerregende Höhen. Dieses Phänomen ließ sich jüngst beim russischen Einmarsch in die Ukraine beobachten. Doch so sehr sich auch Renditechancen für Anleger eröffnen, bleibt die moralische Frage bestehen. Immerhin, so glauben viele Investoren, trägt man mit dem Kauf von Rüstungsaktien indirekt zu Tod und Verderben bei.
Positionen zum Thema “Ethik & Rüstungsaktien” gibt es viele. Um die Streitfrage aus mehreren Perspektiven betrachten zu können, haben wir über die letzten Wochen 5 unabhängige Finanzexperten und gleichzeitige Betreiber verschiedener Blogs nach ihrer Meinung gefragt. Das sind die Antworten:
Angela Mygind (MissFinance.ch)

“Rüstungsunternehmen gehören für mich zu den Unternehmen, in die ich nicht investiere. Ich bin in anderen Bereichen, die oft gemieden werden, noch eher kompromissbereit, hier jedoch nicht.
Mein Kriterium ist, dass die Menschen eine Wahl haben. Deshalb finde ich Aktien von Unternehmen wie McDonalds oder auch von Tabakkonzernen weniger verwerflich, da der Konsument hier Spielraum hat. Klar, die Entscheidung ist für viele nicht leicht aber ich bin der Meinung, dass wir eine gewisse Eigenverantwortung haben und wahrnehmen müssen. Bei Rüstungsunternehmen ist dies nicht gegeben und deshalb nehme ich meine Eigenverantwortung wahr.
Ich persönlich möchte nicht Teil-Eigentümerin von solchen Unternehmen sein und kann nicht hinter solchen Geschäftsmodellen stehen. In der Schlussfolgerung nehme ich nicht am Profit, den solche Unternehmen generieren, teil.”
Lars Hattwig (larshattwig.com)

“Sie gelten als moralisch und ethisch fragwürdig, manch einer lehnt diese sogar völlig ab. Die Rede ist von Aktien, deren zugrunde liegende Unternehmen Material und Waffen für das Militär produzieren.
In einer idealen Welt wären Waffen tatsächlich überflüssig. In der realen Welt weiß jeder bereits im privaten Bereich, wie wertvoll eine gute Verteidigung ist. Eine abschreckende Verteidigung kann alleine schon bedeuten, dass man selbst Stärke aufbaut. Denn die Hemmschwelle einen muskulösen Mann anzugreifen oder eine Frau, von der man weiß, dass sie regelmäßig eine Kampfsportart trainiert oder eine Person mit Waffen zu attackieren, ist ziemlich hoch.
Leider ist es auch in der Politik so, dass zwischen zwei oder mehreren Ländern oft Interessenskonflikte vorhanden sind. Hier gilt ebenfalls: Solange die Gegenpartei von der eigenen Verteidigungsstärke weiß (oder sie zumindest vermutet), wird man auf dem diplomatischen und damit friedlichen Weg eine Lösung anstreben.
Daher können militärische Waffen aus dieser Perspektive betrachtet eine gute Portion Sicherheit bieten und als Privatanleger kann man davon in Form von Aktien auch partizipieren. Solange Menschen, selbst in hohen politischen Funktionen, Befindlichkeiten und ein ausgeprägtes Ego mit sich herumtragen ist die Abschreckung durch eine gute Verteidigung so notwendig, wie andere Güter, die wir regelmäßig benutzen.
Daher habe ich persönlich nichts dagegen, wenn jemand Rüstungsaktien in seinem Depot hat. Gerade in Zeiten wie diese mit einer hohen Inflation, können Aktien von Rüstungsunternehmen einen guten Teil der Geldvernichtung kompensieren.”
Andreas Maier-Roth (FinanzGuerilla)

“Aktuell habe ich in meinem Portfolio keine Rüstungsaktien. Grundsätzlich habe ich aber auch keine moralischen Probleme mit ihnen.
Erstens, weil der Handel von Aktien auf dem Zweitmarkt stattfindet, ich somit durch den Aktienkauf keineswegs ein Unternehmen durch meinen Kauf oder Aktienbesitz ‘unterstütze’. Es hat bereits sein Geld durch den Börsengang von Investoren eingenommen.
Zweitens, weil – wie man im aktuellen Ukraine-Krieg leider sehen kann – Waffen / Rüstung auch durchaus wichtige Funktionen haben, um Menschenleben zu schützen.
Drittens, weil ‘Moral’ nicht erst seit Friedrich Nietzsche ein sehr schwammiger Begriff ist. Moralstandards sind stets problematisch, da sie immer nur die Standards der eigenen sozio-kulturellen Programmierung wiedergeben. Wenn diese Standards auf die grausame Lebensrealität treffen, führt dies manchmal zu ganz anderen Konflikten. Auch das zeigt derzeit der Ukraine-Krieg und die Zerstrittenheit im deutschen Pazifismus-Lager. Ist es ‘moralisch’, Waffen an die Ukraine zu liefern? Wer dies bejaht, dürfte der Logik folgend auch keine Probleme mit Rüstungsaktien an sich haben.
Generell plädiere ich eher dafür, die Moral beim Investieren außen vor zu lassen und lieber die Rendite mitzunehmen, um das eigene Leben und das eigene Umfeld positiv zu gestalten. Man kann die Dividende ja auch spenden! Vielleicht ist hier dann die Dividende sogar besser aufgehoben als bei globalen Großinvestoren.”
Luis Pazos (Nur Bares ist Wahres)

“Was haben gebrauchte Bücher mit Aktien gemeinsam? Mehr, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Tatsächlich funktionieren organisierte Börsen nicht anders als der antiquarische Buchhandel.
Die negoziierten Bücher wurden bereits gedruckt und initial über den Erstmarkt verkauft, die Handelsplattformen versuchen nunmehr Angebot und Nachfrage der Nutzer nach Bestandstiteln bestmöglich über einen Zweitmarkt auszugleichen, Transaktionen haben hierbei keinerlei wirtschaftliche Auswirkungen auf den einst publizierenden Verlag und tantiemenberechtigten Autor. Genauso verhält es sich mit Aktien.
Junge Aktien werden über Konsortialbanken direkt am Erstmarkt platziert, der Erlös kommt abzüglich der Emissionskosten dem ausgebenden Unternehmen zugute. Danach übernimmt der Zweitmarkt, also die Börse, lediglich die Eigentumszuordnung, wobei ‘Geld’ (Kaufangebote) und ‘Brief’ (Verkaufsangebote) zum umsatzmaximierenden Gebot ausgeglichen werden.
Hieran wird bereits ersichtlich, dass Investitionen über die Börse gerade nicht in Unternehmen erfolgen, es wechseln lediglich Bestands- oder Lagergrößen, eben ‘stocks’, den Eigentümer. Der Handel selbst erfolgt dabei sowohl entkoppelt vom operativen Geschäft als auch ohne direkten Einfluss auf die Kapitalausstattung der Aktiengesellschaft – sofern es sich nicht um eine maßgeblich kursbeeinflussende Order handelt. Nach erfolgter Emission am Erstmarkt ist der Aktienerwerb via Zweitmarkt aufgrund der zwangsläufigen Anonymität automatisierter (Massen-)Prozesse de facto keiner moralischen Betrachtung zugänglich, hierzu müsste nämlich in jedem Einzelfall die Mittelherkunft und -verwendung des konkreten Konterparts festgestellt und beurteilt werden können.
Damit bleibt – nicht nur bezogen auf die Hersteller letaler Werkzeuge für Kunden aus dem öffentlichen Sektor – der (Un-)Wohlfühlfaktor, den etwaige Depotpositionen auslösen könnten. Nun sehen sich hier Pazifisten unausweichlich mit der Fragwürdigkeit eines Prinzips konfrontiert, welches mittels selbst auferlegter Gewaltfreiheit alle anderen Werte korrumpiert. Und wie schnell lieb gewonnene ESG-Kriterien im Malstrom der Geschichte geschreddert werden können, belegt nicht nur die jüngste Vergangenheit.”
Petra Wolff (Petras Finanzexperimente)

“Ich wurde gefragt, ob ich Rüstungsaktien für moralisch vertretbar halte. Meine Antwort ist: Nein!
Meine Gedanken dazu sind folgende: Wenn ich Aktien eines Unternehmens an der Börse kaufe, unterstütze ich dieses zwar nicht unmittelbar, denn schließlich bekommt mein Geld nicht die Firma, sondern derjenige, der die Aktien vorher besessen hat, aber ich kaufe Geschäftsanteile.
So beteilige ich mich durch den Kauf von Rüstungsaktien an dieser Industrie. Ich profitiere also mit, wenn es irgendwo auf der Welt kracht, wodurch immer unbeteiligte Menschen zu Schaden kommen, oder wenn jemand dem anderen droht, ihm Schaden zuzufügen. Rüstung hat nun einmal keinen anderen Zweck als Schaden zuzufügen oder anzudrohen, selbst wenn sie der Verteidigung dient. Eine Verteidigung ist schließlich nur nötig, wenn es Aggression gibt.
Es ist zwar oftmals schwer einzuschätzen, ob das Geschäftsmodell eines Unternehmens insgesamt moralisch vertretbar ist, aber bei der Rüstungsindustrie liegt das für mich klar auf der Hand: Nicht moralisch vertretbar und darum für mich kein Investment!”